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Georg Hauptfeld, Ruth Wodak, Edith Meinhart, Walter Famler: Schlusspanel

Ruth Wodak: In Zeiten großer Unsicherheit steigen notwendigerweise Ängste. Manche politischen Parteien instrumentalisieren solche Befindlichkeiten; simple Lösungen, meist in Form von Sündenböcken, sollen scheinbar Sicherheit und Hoffnung auf schnelle „Rettung“ bieten. Im Gegensatz dazu sind differenzierte alternative Programme gefragt, die komplexe Krisen nicht verharmlosen oder leugnen, sondern diese konfrontieren und solidarisch Lösungsschritte erarbeiten lassen. Um dies zu erreichen, müssen wir uns alle von der Normalisierungs- und Gewöhnungsdynamik („es gibt keine Alternativen!“) verabschieden und neue Kommunikationsoptionen suchen – etwa über Formen eines partizipativen Dialogs.

Edith Meinhart: Angst als Gegnerin in der Freiheit. Viele Flüchtlinge und Migranten kommen nach Europa, um frei zu sein. Frei von Angst. Vor dem Krieg, vor Verfolgung, vor der Zukunft. Doch das Versprechen eines besseren Lebens – in Freiheit und ohne Angst – können nicht alle ausschöpfen. Zum einen versucht die Community aus Sorge um den Verlust der eigenen Kultur der (angst-)freien Entfaltung des Einzelnen, der Einzelnen Grenzen zu setzen. Zum anderen zielt die europäische Migrations- und Asylpolitik stark darauf ab, Menschen davon abzuhalten, sich überhaupt erst auf den Weg zu machen. Die Angst ist in dieser Hinsicht eine Schwester der Abschreckung. Statt in Freiheit zu leben, sollen Einwanderer in ständiger Unsicherheit gehalten werden, was ihren Status, ihre Perspektiven und ihre Zugehörigkeit betrifft, sie sollen ständig Angst haben, mit dem Kalkül, dass sie in ihre Herkunftsländer zurückmelden, wie schrecklich es in diesem Europa ist. Und vielleicht erzählen sie auch, wie viel Angst hier in Wirklichkeit herrscht, nicht zuletzt vor ihnen, den Fremden.